Montag, 28. Mai 2012

Meine Erfahrungen mit Street Harassment

In der letzten Woche schrieb Helga schon in der Mädchenmannschaft was zum Street Harassment, Distel podcastete dazu und da ich diese Woche gleich zweimal Opfer wurde, wollte ich auch mal wieder was bloggen.
Street Harassment meint, dass Menschen auf der Straße von anderen Fremden belästigt werden. Dazu gehört (kurz gesagt) jede unangenehme und respektlose "Anmache", aber eben auch direkte sexuelle Belästigung. Die Seite stopstreetharassment.org dröselt den Begriff in folgende Beispiele auf: anzügliche Blicke, pfeifen, hupen, Kussgeräusche, nicht explizit als sexuell gewertete Kommentare, aber eben auch sexuell aufgeladene Kommentare, vulgäre Gesten, Stalking, öffentliche Selbstbefriedigung, sexuelle Berührungen, Körperverletzung und Mord.
Street Harassment kann Männer und Frauen treffen, aber Frauen begegnen diesem "Phänomen" wohl deutlich öfter, ich glaube, fast jede Frau kennt eine der oben beschriebenen Situationen. 
EDIT: Noch mehr dazu in diesem Blogeintrag von High on Clichés.

Mir sind diese Woche gleich zweimal unangenehme Situationen passiert. Einmal fuhr ich auf dem Fahrrad durch die Stadt und hört von zwei Jugendlichen dumme Kommentare über meine Oberweite, die ich hier nicht wiederholen möchte. Ich fuhr weiter und musste dann an einer Ampel halten. Die Jungs gingen wieder an mir vorbei und riefen "Warte mal, warte mal!" und der eine kam auf mich zu. Zum Glück konnte ich dann weiter fahren und musste mich nicht weiter mit denen abgeben. Es war mitten am Tag, die Straße war voller Leute und ich denke nicht, dass mir viel hätte passieren können - trotzdem wollte ich keine Konfrontation.

Heute dann fuhr ich mittags wieder mit dem Rad zum Bahnhof. Von der anderen Straßenseite rief mir ein junger Mann "Hallo!" nach. Ich ignorierte ihn, aber wurde aufmerksam. Ich schloß mein Rad an und musste dann an der Bushaltestelle warten. Mir war total klar, dass der jetzt zu mir rüber kommt, ich tippte quasi schon vorsorglich eine Nachricht auf Twitter...
Es kam wie es kommen musste. Der Typ kam rüber zu mir, setze sich - ließ aber zum Glück einen Platz zwischen uns frei. "Hallo, wie heißt du, wie geht es dir?", und ähnliches Blabla. 
Ich denke derzeit sehr viel an das, was ich im Selbstverteidigungskurs gelernt habe und bin wahnsinnig froh, dass ich den besucht habe. Ich hab viel über Opfer- und Täter-Haltung gelernt. Ich atmete also durch, sah dem Belästiger mit meinem "Blutbadblick" an (ein Freund von mir nennt das so, wenn ich ablehnend und böse gucke, er weiß warum ;-) ) und sagte einfach nur: "Ich will mich nicht unterhalten, lass mich in Ruhe, hau ab!" Er versuchte es dann noch mit "Sprichst du französisch, sprichst du englisch?", ich verneinte noch einmal und ignorierte ihn dann. Ich hatte Kopfhörer im Ohr, aber keine Musik an, damit ich weiterhin alles hören konnte. Er trollte sich dann recht bald, murmelte noch ein "Sorry" und war weg. Er hing weiter am Busbahnhof rum, aber hielt zwei Bahnsteige Abstand.
Die großartige Franziska reagierte via Twitter sehr schnell und schrieb mich an - danke dafür auch hier nochmal! Wenn ich Trost gebraucht hätte, hätte ich den gleich bekommen könnte. Ich hatte aber eigentlich nicht wirklich Angst gehabt, ich wurde ihn ja schnell los.

Es ist schon verrückt, dass mir das jetzt zweimal so kurz hintereinander passierte und ich habe deshab heute nochmal darüber nachgedacht, wie oft das bei mir schon vorkam. Mir wurde mal im Zug an den Hintern gefasst, Betrunkene haben mich beim Ausgehen belästigt. Und da war dieser ganz spezielle Biolehrer, der jede Chance nutze, öffentlich laut zu loben, was er alles an mir schön findet. Und ans Knie gefasst hat er mir auch.
Ich war bisher meistens immer völlig verdattert und habe selten reagiert. Ich bin weggegangen oder habe einfach nichts gesagt. Einige Male wurde mir tatsächlich erst später klar, was da passiert ist. Gegen meinen Lehrer traute ich mich nie was zu sagen. Zurück blieb aber dieses Gefühl, dass da jemand einfach so in meinen Bereich eingedrungen ist, mir zu nahe kam. Ich hatte selten in der Situation selbst Angst, aber man fühlt sich trotzdem einfach scheiße.

"Da solltest du aber nicht alleine entlangfahren!"
"Um diese Uhrzeit ist das viel zu gefährlich!"
"Kein Wunder bei diesem Outfit!"
Das sind so Sätze, die ich seit meiner Kindheit kenne und hasse. Warum sind gewisse Bereiche, gewisse Uhrzeiten und gewisse Klamotten für mich tabu? Im Zusammenhang mit Belästigung höre ich das total oft. Da wird einfach den Opfern die Schuld in die Schuhe geschoben. Man hätte ja einen anderen Weg nehmen oder sich was überziehen können. WTF?? Ich soll mich also einschränken lassen, statt dass mal was dafür getan wird, dass sowas nicht mehr passiert? Ich habe das Gefühl, dass es als vollkommen normal angesehen wird, wenn man so auf der Straße belästigt wird.
Meine Mutter hat mir als Kind schon oft gesagt, dass ich hier und dort aufpassen muss und was es bedeutet, sexuell belästigt zu werden. Sie wollte, dass ich weiß, was mir passiert, wenn mir was passiert und dass ich sowas dann auch meinen Eltern sage. Sie wollte, dass mir nichts passiert, dass ich mich richtig verhalte. An einem gewissen Punkte dachte ich als Kind, es ist völlig normal, dass man irgendwann mal belästigt wird. Ich habe förmlich gewartet, dass ich mal in so eine Situation komme, denn schließlich passiert das ja anscheinend überall und allen - dachte ich als Kind. Im Rückblick finde ich das furchtbar gruselig.

Ich bin generell ein sehr vorsichtiger Mensch. Ich bewege mich vorausschauend und aufmerksam, gehe Gefahr grundsätzlich aus dem Weg. Nicht leichtsinnig zu sein, ist ja an sich gut. Trotzdem habe ich das Gefühl, in meiner Freiheit beschnitten zu sein. Seit dem Selbstverteidigungskurs wirke ich wohl weniger als Opfer, aber aufmerksam bleibe ich. 

Das kann aber alles nicht die Lösung sein! Nicht ICH muss was an mir oder meinem Verhalten ändern, sondern die Belästigungen müssen aufhören!

(Dämliche Kommentare im Sinne von "Stell dich nicht an!" "Sieh es doch als Kompliment!" und "Du übertreibst mal wieder!" werde ich löschen. Nur dass ihr das wisst.)

16 Kommentare:

  1. Okay, dann frage ich mal: wie spricht man einen Menschen an, ohne dass es als Street Harassment interpretiert wird?

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    1. Dazu wollte ich tatsächlich auch noch was bloggen. Das sollte dir schon einige Fragen beantworten: http://highoncliches.wordpress.com/2012/05/17/wie-verhalte-ich-mich-moglichst-nicht-wie-ein-arsch/

      Im 2. Fall wurde mir tatsächlich quer über die Straße nachgerufen und ich musste sehr deutlich und unfreundlich werden - nur falls du das als Flirt interpretiert hast ;-)

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  2. hallöchen

    also ich hätte sehr gerne etwas zu dem thema geschrieben, aber wenn von der autorin gleich damit gedroht wird, dass kommentare gelöscht werden (weil sie nicht in die meinung passen) dann vergeht mir ehrlich gesagt die lust. ich frage mich dann auch wozu du dann sowieso die kommentarfunktion hast? ich bin der meinung im internet sollte nicht zensiert werden und das fängt schon bei kommentaren an.

    sehr schade, dass man hier nur mit einer bestimmten meinung meinungsfreiheit hat ;)

    Gruß Lisa

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    1. Hallo Lisa,

      Das hat mit Meinungsfreiheit und Zensur einfach nichts zu tun. Wenn ich mich belästigt fühle, dann ist es Belästigung und dann möchte ich einfach nicht hören, dass irgendjemand da abwiegelt und relativiert. Mir geht es da auch tatsächlich besonders um den Tonfall (deshalb die Beispielzitate).

      Zudem denke ich, dass das hier mein Privatraum ist. Ich hab noch nie einen Kommentar gelöscht. Ich könnte auch einstellen, dass ich jeden kommentar einzeln freischalten muss, aber das will ich eigentlich nicht. Ich bin zu Diskussionen gerne bereit, aber ich hab keinen Bock darauf, mir sagen zu lassen, dass ich mich anstelle. Denn genau solche Kommentare wollte ich mit meinem letzten Satz vermeiden.

      Viele Grüße,
      FP

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    2. Hi Lisa,

      Dies ist nicht "Das Internet" sondern ein privater BLOG. Wenn FP hier Dinge löscht, die ihr nicht passen, ist das dementsprechend keine Zensur, sondern Ausübung von Hausrecht. Du lässt vermutlich auch keine Demonstrationsplakate für irgendeine (dir nicht passende) Meinung in deinem Garten stehen, nur weil die da irgendjemand hingestellt hat. Ist ja in einer öffentlichen Welt ;-)

      K.

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    3. Lieben Dank, Kristian. Genau das meinte ich.

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  3. In dieser Situation von Street Harassment zu sprechen, einen "Blutbadblick" aufzusetzen und über Opfer- und Täter-Haltung nachzudenken, erscheint mir in der Tat nicht sachgerecht:

    "Es kam wie es kommen musste. Der Typ kam rüber zu mir, setze sich - ließ aber zum Glück einen Platz zwischen uns frei. "Hallo, wie heißt du, wie geht es dir?", und ähnliches Blabla."

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    1. "Blutbadblick" war auch nie sachlich gemeint - das ist ein Scherz, den ein Freund über mich macht. Ich denke, es ist deutlich, was ich meine. Ein Blick, der einfach "lass mich in Ruhe" aussagt.

      Er ist deutlich über mein "nein" hinaus gegangen, ich habe gesagt, dass ich nicht will. Alles, was danach kommt, ist Belästigung.
      Opferhaltung wäre gewesen, wenn ich ihn nicht angeguckt und mich klein gemacht hätte. Wenn ich Angst ausgestrahlt hätte. Ich bin mir sehr sicher, dass der dageblieben wäre, bis mein Bus gekommen wäre.
      Zudem musst du bedenken, dass er mich über die Straße hinweg gerufen hat. Das tut man doch nicht einfach so, oder?

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    2. Ach so - und ich habe auf das erste "hallo" über die Straße gleich wieder weggeschaut und nicht drauf reagiert. Warum kommt der dann zu mir, wenn ich später an der Haltestelle sitze.
      Warum muss ich in Kauf nehmen, mich weiter mit einer Person zu unterhalten, obwohl ich da keine Lust drauf habe?

      Nur weil ich weder angefasst wurde, noch mir Worte wie "Titten" und "Arsch" nachgerufen wurden, ist das trotzdem Belästigung.

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  4. Es ist traurig, dass sich die Belästigte hier auch noch rechtfertigen muss, ob sie gercht reagiert hat. Wo sind wir denn?

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  5. Solche Idioten sind unsensibel. Sie überschreiten unsere Grenzen. Genauso wie Leute, die uns im Supermarkt an der Kasse bei jedem Vorrücken mit dem Einkaufswagen in die Hacken fahren.

    Die Bandbreite ist groß. Das fängt bei Blicken an und endet bei Gewalt.

    Nur weil ich keinen Ganzkörperschleier trage, heißt das nicht, dass ich angeglotzt, begrabscht oder vollgelabert werden will. Ich will anziehen können, was ich will und hingehen wo ich will, wann ich will. Ich will kein Taxi nehmen müssen, nur weil ich eine Frau bin.

    Ich habe nichts dagegen, freundlich angesprochen zu werden. Bei einer netten Unterhaltung kann die Wartezeit auf den Bus wie im Flug vergehen. Aber wenn ich ablehne (egal ob ich gerade maulfaul bin oder lieber lesen will oder mir der Typ unsympathisch ist), muss das akzeptiert werden. Und da habe ich das Problem, dass ich entweder freundlich ablehne, was dann leider ignoriert wird, weil ich ja so freundlich bin, also mich wohl nur "ziere". Oder ich lehne unfreundlich ab und mir wird dann die Diskussion aufgedrängt, warum ich so unfreundlich bin, ob ich wohl meine Tage habe oder chronisch untervögelt sei...

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    1. Ob unsensibel oder ob das mit Absicht geschieht, ist dann nochmal eine andere Frage.
      Aber was du sagst, ist alles vollkommen richtig.

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  6. Es gibt halt leider sehr unsensible Zeitgenossen, die meinen dass sie alles dürfen was sie können. Wenn irgendwer mir nur etwa verdächtig nach, der will mich dumm anmachen aussieht, setze ich inzwischen schon den bösen Blick auf. (Das macht mir dann sogar fast Spaß, weil der andere hat es ja wohl auch nicht freundlicher verdient). Mir passiert das aber nicht nur im sexuellen/anzüglichen Bereich, sondern auch als Psychoseelsorge, das irgendwelche Wildfremden mir ungefragt und ungewünscht ihre Lebensphilosophie aufmissionieren wollen oder sich durch mich selbst bestätigen wollen.

    Wenn ich darauf unwillig reagierwe finde ich das auch ähnlich unhöflich und nervig. Aber ich lasse mich dadurch nicht einschränken und in meiner Freiheit beschneiden. In den letzten Jahren ist das alles aber zum Glück weniger geworden, weil meine Ausstrahlung inzwischen eine sehr viel souveränere geworden ist (oder warum auch immer). Ich sende die richtigen Signale schneller.

    Nichtsdestotrotz haben die Leutchen nicht das Recht bei anderen Menschen, diese Grenzen zu überschreiten nur weil es potentiell so aussieht als wenn diese sich nicht wehren würden.

    Ich glaube, wenn mir heutzutage jemand an Arsch grapscht, würde ich ihm einfach eine kleben, ohne Rücksicht auf Verluste. Und das strahle ich wohl auch meistens aus, wennn mir jemand unsympathisch ist, dass mit mir dann nicht gut Kirschen essen ist.

    Früher als Jugendliche war ich leider auch lieb, niedlich, unsicher und ein klassisches Opfer. Ich mag meine jetzige Ausstrahlung jedoch an mir lieber, nicht nur weil es gegen solche Situationen etwas hilft sondern auch, weil es mehr das echte ich ist, dass sich vorher nur nicht getraut hat, jemanden z.B. einfach widerlich oder unmöglich finden zu dürfen und sich in der Pflicht sah zu jedem nett sein zu müssen, nein danke, nicht mehr. Freundlichkeit ist eine Wertschätzung und keine Pflicht.

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  7. Zuerst einmal: Yeah, Piraten!

    Nun zum Thema. Ich finde den Artikel toll und es muss unbedingt für dieses Thema sensibilisiert werden. Ich finde es schokierend, dass so vielen Kindern unter 14 solche Dinge passieren und niemand etwas unternimmt. Genausoschlimm sind die Eltern, die ihren Kindern nicht glauben. Als ob das Abstreiten solcher Belästigungen zu einer heileren Welt führen würde.
    Ich habe glücklicherweise nur sehr wenige Erfahrungen mit Street Harassment gemacht und dabei auch keine, über die ich mir länger Gedanken gemacht hätte. Dennoch kann ich euch bestätigen, dass auch ich diese "Ich muss nett zu den Leuten sein" Einstellung spüre und inzwischen ziemlich gut ablegen konnte. Ich kann mich auf jeden Fall nicht daran erinnern, in den letzten 2-3 Jahren zu jemandem, der mir unsympatisch war oder der mich belästigt hätte freundlich gewesen zu sein.
    Ich habe heute versucht, und werde auch in Zukunft bewusster durch die Straßen gehen, um sowas verhindern zu können.

    Eine Komilitonin (recht alternativ vom Look her) hat etwas erlebt, dass vielleicht unter Street Harassment fällt. Sie war mit dem Zug unterwegs und wurde von einer Frau längere Zeit böse beäugt. Aus sie aussteigen wollte, latschte ihr diese Frau im Vorbeigehen voll vor das Schienbein.
    Und ich kann mir vorstellen, dass bei so einem Vorfall mehr in die Wege geleitet wird, als wenn ihr jemand an die Bruste gefasst hätte.

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