Dienstag, 31. Dezember 2013

Freund*innenschaft in Zeiten des Aktivismus

Ich habe aus dem alten Jahr eine wichtige Erkentnis gezogen, die ich noch stärker mit ins neue Jahr nehmen will: Ich möchte mir mehr "Dinge" zugestehen, die mir gut tun und ich möchte mir Zeit zugestehen, diese "Dinge" in meinem Leben zu erhalten. Ich setze das hier so in Anführungszeichen, weil ich hier und heute nicht über Dinge schreiben möchte, sondern über Menschen - sich mit Menschen umgeben, die mir gut tun und gegebenenfalls Kontakt zu denen verringern, die mir nicht gut tun, empfinde ich als ganz zentral für mein Wohlbefinden.

Ich habe mich bis Anfang des Jahres in einem Freund*innenkreis bewegt, den ich gute acht Jahre um mich hatte. Als wir uns kennen lernten, beschäftigte ich mich bereits mit Themen, die ich heute als feministisch betrachten würde. Ich bin aber immer eher zurückhaltend damit (gewesen), meine Meinung besonders zu Politik laut zu äußern. Gruppenstrukturen bedeuten für mich als Introvertierte immer Anstrengung und Angst und es hat lange gedauert, bis ich mich getraut habe, auch in vertrauter Umgebung mal eine eigene Meinung zu vertreten und nicht einfach zu schweigen. Es gab da in der Vergangenheit öfter die Situation, dass ich angehalten wurde, da doch auch mal was zu zu sagen, schließlich sei das doch mein Thema. Ich tat das aber nicht, wahrte den Frieden und lächelte brav. Besagte Clique ist leider nicht besonders aware für Diskriminierung. Eine ganz gewöhnliche Gruppe Menschen, wie wir sie überall finden: Herzlicher Umgang mit lesbische Bekannten existiert gleichzeitig mit "schwul" als Schimpfwort - aus Angst vor Übergriffen wurde ich zum Bus begleitet, aber selbst sprachen die Männer fremde Frauen auf beängstigend herablassende Weise an. Dass Rassismus, Sexismus, Homophobie usw. sich in ihren Worten und Taten fortschreiben, war und ist keiner Person bewusst. Und mittendrin war ich. Gefangen zwischen dem ständigen Gefühl, meine Ideale zu verraten und dem Wunsch, weiter Teil einer Gruppe sein zu können, die mir ans Herz gewachsen und vor Ort war.

Schon im Herbst 2012 zeichnete sich in meinem Freund*innenkreis ab, dass wir uns auseinandergelebt hatten und dass das passierte, was in vielen Beziehungen passiert - egal welcher Art sie sind. Ein Teil der Gemeinschaft entwickelt sich weiter, sucht sich neue Wege, hat andere Ziele. Dieser Teil war ich. Und dann kam das #Aufschrei-Jahr. Ich trat öffentlich politisch in Erscheinung. Als Person, als Teil einer Bewegung und mit einem kritischen Thema. Ich merkte, dass ich den Mut habe und haben will, meine Meinung zu vertreten. Mir wurde dadurch bewusst, dass ich nicht mehr damit leben kann, dass von meinem näheren Umfeld *ismen reproduziert werden und ich merkte, dass ich nicht die Kraft habe, die unangenehme Rolle derjenigen zu spielen, die das immer und immer wieder erklärt. Ich konnte mich einfach nicht als Einzelperson gegen die Gruppe stellen. Es gab keinen Streit und keinen großen Knall, es gab nur die Aufeinanderfolge von vielen kleinen Erschütterungen, Enttäuschungen und dem immer stärker werdenden Gefühl, dass ich herausgedrängt werde, wenn ich mich nicht anpasse und dass ich schon mehrere Monate ein totes Pferd ritt. Und irgendwie bin ich dann ganz leise gegangen.

Wenn ich eins gelernt habe, dann ist es, dass ich in meinem privaten Umfeld Awareness brauche. Ich brauche ein Umfeld, das bereit ist, sich selbst und eigene Ansichten zu hinterfragen. Ich will mich nicht rechtfertigen müssen dafür, dass ich etwas übergriffig finde. Das muss ich sowieso ständig, wenn ich mit fremden Menschen rede, im Privaten brauche ich ein Umfeld, in dem gewisse Dinge Konsens sind. Diskriminierung lässt sich nicht abschalten, sie ist nicht nur da, wenn ich auf die Straße gehe, sondern umgibt mich den ganzen Tag. Ich brauche da emotionale Sicherheit durch Freundinnen und Freunde. Sicherheit in dem Sinne, dass ich mich auf die Leute verlassen kann, die mich umgeben und die ich an mich ran lasse. Ich bin ein zynischer Charakter, betrachte vieles mit einem spitzzüngigen distanzierten Humor und mag diese Eigenschaft an mir. Durch massive schlechte Erfahrungen in der Vergangenheit, zweifle ich sehr schnell an Zuneigung, die mir entgegen gebracht wird. Ich hinterfrage alles und wenn ich den Eindruck habe, eine Person besonders gern zu haben, werden die Zweifel, dass ich sie mehr mag als andersrum, nur größer. Dann neige ich dazu, meine Gefühle zu verschleiern und Distanz zu wahren, weil ich mir einbilde, dadurch unverletzlicher zu sein (Teaser: hilf nix). Ich kann ansonsten sagen, dass ich eine sehr aufopfernde Freundin bin und schon deshalb gut auf mich achten muss. Wer mein Herz einmal gewonnen hat, kann sich sicher sein, dass ich morgens vor Sonnenaufgang mit dem Fahrrad durch die halbe Stadt fahre, um Tränen zu trocknen (been there, done that).

Dauerhafter Stress und Bedrohungssituationen haben im vergangenenen Jahr dazu geführt, dass Abschalten teilweise so gar nicht mehr möglich ist, dass ich mich in ständiger Angriffsstellung befinde. Ich bin in den letzten Monaten mit so viel Feindseligkeit in Berührung gekommen, wie selten in meinem Leben. Menschen bedrohen und beschimpfen mich und andere Aktivistinnen. Stress bis zum Burnout wurde mein Begleiter. Gräben haben sich aufgetan, wo vorher keine waren. Viel zu oft habe ich mich isoliert gefühlt und wollte zu keinem Familienfest mehr gehen, um da nicht auch wieder Sexismus erklären zu müssen. Ich habe gemerkt, dass es weiterhin gut ist, skeptisch zu bleiben und zu wissen, als welcher Richtung die Messer im Rücken kommen könnten. Ich wähle noch stärker aus, wen ich Freund*in nenne. Feste Orte taugen selten als Safespaces, ich möchte, dass meine Freund*innenschaften solch sichere Orte sind, dass die Momente mit Freund*innen die sind, in denen ich mich nicht verstellen oder verstecken muss, dass ich dort Rückendeckung und Verständnis finde.

Glücklicherweise habe ich solche Freund*innen - teilweise sind sie seit vielen Jahren mein zweites Zuhause, teilweise kamen sie 2013 hinzu oder unser Kontakt intensivierte sich. Weil mir in den richtigen Momenten oft die richtigen Worte fehlten und obwohl ich auch jetzt nur ansatzweise ausdrücken kann, was ich sagen will: Danke an dieser Stelle für ehrliche Zuneigung, ohne die ich im vergangenen Jahr irgendwann einfach umgefallen wäre. Danke für Liebe, Rückhalt, Vertrauen, Mutmachen, Tränentrocknen, nächtliche Gespräche und Chats, Ratschläge, finanzielle Unterstützung, Zuflucht, Betüdelung, Patin sein dürfen, Pommestreffen, Spaziergänge, Umarmungen und Händchenhalten. Ich verlasse mich drauf, dass ihr wisst, wenn ihr gemeint seid. Für das neue Jahr wünsche ich mir, dass ihr bleiben mögt.

3 Kommentare:

  1. Ich wünsche dir das auch und ein weniger stressiges, empowerndes, buntes und aktivistisiches 2014!

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  2. Danke für den Text! Und auch alles Liebe, viel Power und viel Erfolg weiterhin von mir, LG Jasmin

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